Budgetberatung

Ein Beitrag von Dr. Melanie Nussbaumer und Doris Platania
Plusminus Budget- und Schuldenberatung Basel-Stadt

Das Leben am Existenzminimum stellt eine immense Herausforderung dar. In diesem Artikel werfen wir einen Blick darauf, was es konkret für Haushalte bedeutet, mit minimalen finanziellen Mitteln auszukommen. Die Auswirkungen des ­Lebens am Existenzminimum können je nach ­individueller Lebenssituation variieren. Nicht nur die Höhe des persönlichen Budgets spielt eine Rolle, sondern auch, wie sich die persönliche Lebenssituation darstellt. Anhand von zwei Fall­beispielen zeigen wir auf, welche Unterstützungsmöglichkeiten bei Menschen am Existenz­minimum bestehen.

Perspektiven und (Un-)Freiwilligkeit

Mit wenig Geld auszukommen, kann je nach Lebenssituation eine ganz unterschiedliche Bedeutung für die betroffenen Menschen haben: Eine junge Person in einer Ausbildungssituation hat im Vergleich zu einer Person, die Sozialhilfe empfängt, eine völlig andere Perspektive – obwohl das Budget möglicherweise gleich klein ist. Die Person in Ausbildung weiss, dass sich die Situation ändern wird und nach Abschluss der Ausbildung viele Möglichkeiten offenstehen. Eine Person, die diese Perspektive nicht hat, muss sich langfristig auf ein niedriges Einkommen einstellen. Je länger ein prekärer Zustand andauert, umso zehrender wird es. Bei einem längerfristigen Leben am Existenzminimum ziehen sich Betroffene oftmals aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Psychische Leiden können dadurch verstärkt werden oder auch erst entstehen.

Es macht ausserdem einen Unterschied, ob man bewusst und «freiwillig» diesen Zustand wählt. Die meisten Personen mit knappem Budget befinden sich unfreiwillig in dieser Situation. Einschneidende Lebensereignisse wie eine Trennung oder Scheidung, ein Unfall, eine chronische Erkrankung oder die Flucht aus dem Heimatland können Menschen unerwartet in eine Notlage versetzen, in der sie mit wenig Geld auskommen müssen.

Persönliche Kompetenzen

Zusätzlich zur Dauer und Freiwilligkeit des Lebens am Existenzminimum spielen persönliche Kompetenzen eine Rolle, wie mit einer solchen Situation umgegangen werden kann. Menschen mit hoher Resilienz – also der Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen zu meistern – sind oftmals besser in der Lage, mit einem knappen Einkommen umzugehen.

Zudem helfen sprachliche, administrative und allgemein kommunikative Kompetenzen. Auch eine gute Bildung und Kenntnisse über behördliche und administrative Abläufe erleichtern es, sich zurechtzufinden. Da es in der Schweiz überwiegend keine automatische Zuordnung von Hilfsansprüchen vonseiten der Behörden gibt, müssen Personen in Not selber wissen, welche Angebote es gibt und wie die Unterstützung konkret beantragt werden muss. Viele Bezugsberechtigte wissen jedoch nicht, dass sie Anspruch auf finanzielle Unterstützung hätten, oder verzichten aus anderen Gründen darauf. Eine Hürde ist auch die Sprache: Viele Angebote gibt es nur in der jeweiligen Amtssprache, sodass die Informationen nicht für alle zugänglich und verständlich sind.

Privates soziales Netz

Auch die soziale Integration hat einen Einfluss auf den Umgang mit einem knappen Budget. Ein starkes soziales Umfeld ermöglicht es, sich gegenseitig in Zeiten finanzieller Not zu unterstützen. Dies kann materielle Hilfe wie Lebensmittel, finanzielle sowie emotionale Unterstützung umfassen.

In der Beratung von Menschen am Existenzminimum erleben wir oft, dass in der Mitte des Monats schon kein Geld mehr für Nahrungsmittel zur Verfügung steht. Vom direkten Umfeld wird dann zwischenzeitlich ausgeholfen, sodass der Rest des Monats überbrückt werden kann. Auch das gemeinsame Essen bei Freunden und Familie trägt dazu dabei, finanzielle Engpässe besser zu überstehen. Innerhalb eines sozialen Umfelds können zudem Informationen über Unterstützungsmöglichkeiten geteilt werden. Dies können beispielsweise Ratschläge zu staatlichen Leistungen und gemeinnützigen Organisationen sein. Leider erleben wir in unseren Beratungen viele Schicksale, in denen Betroffene nicht auf ein solches Umfeld zurückgreifen können.

Sparpotenziale

Die unterschiedlichen Ausgangslagen führen zu weiteren Ungleichheiten, dies zeigt sich beispielsweise bei den individuellen Sparpotenzialen. Viele Sparmöglichkeiten, wie etwa ein ÖV-Jahresabo, eine höhere Krankenkassen-Jahresfranchise oder ein Mietzinsdepot anstelle einer Mietzinskautions-Versicherung setzen gewisse finanzielle Reserven voraus. Menschen, die am Existenzminimum und ohne finanzielle Rücklagen leben, können sie deshalb häufig nicht nutzen. Zudem locken beispielsweise gewisse Krankenkassen mit günstigen Monatsprämien. Sie sind aber nicht für Menschen geeignet, die eventuell administrativ schnell überfordert sind: Zum Beispiel wenn Gesundheitskosten zuerst selber im Voraus bezahlt werden müssen und erst danach wieder von der Krankenkasse zurückgefordert werden können. Wer über dieses System nicht ausreichend informiert ist oder Belege nicht konsequent sammeln und einreichen kann, läuft Gefahr, die Kosten für notwendige Medikamente letztlich selber zu tragen.

Fallbeispiele aus der Beratung

Anhand prototypischer Fallbeispiele wird im Folgenden dargestellt, welche Herausforderungen das Leben am Existenzminimum je nach Lebenssituation mit sich bringen kann und welche Unterstützungsmöglichkeiten bestehen.

Getrenntes Paar, verschuldet, Vater zahlt Unterhalt für zwei Kinder, ­Mutter bezieht ergänzende Sozialhilfe

Herr und Frau Thaler haben sich vor vier Jahren getrennt. Die gemeinsamen Kinder im Alter von neun und zwölf Jahren leben mehrheitlich bei der Mutter. Frau Thaler kann aus gesundheitlichen Gründen nur Teilzeit arbeiten und verdient monatlich CHF 1 800. Da der Lohn und der Unterhaltsbeitrag von CHF 1 100 die Lebenshaltungskosten nicht decken, erhält Frau Thaler zusätzlich Sozialhilfe. Herrn Thalers Lohn beträgt CHF 4 500. Bei der Berechnung des Unterhaltsbeitrags von Herrn Thaler wurden die Steuern nicht berücksichtigt. Das entspricht der Gerichtspraxis bei Unterhaltsberechnungen von Personen mit knappem Budget. Wir machen Herrn Thaler auf die Möglichkeit des Steuererlasses aufmerksam und unterstützen ihn beim Verfassen des Gesuchs. Die Steuerver-waltung heisst das Steuererlassgesuch gut.

Da die Kinder von Herrn Thaler nicht bei ihm gemeldet sind, erhält er keine Mietzinsbeiträge, obwohl die Wohnung mindestens drei Zimmer haben muss, damit seine Kinder bei ihm übernachten dürfen. Seine Krankenkasse ist sehr teuer, sodass er sie nicht immer zahlen kann. In der Beratung prüfen wir mit Herrn Thaler das Versicherungsmodell der Krankenkasse. Wir empfehlen ihm einen Wechsel in ein günstigeres Versicherungsmodell, auch die Prämienverbilligung hat er zugute und sie wird für ihn beantragt.

Die Budgets von Herrn und Frau Thaler sind sehr knapp. Wir stellen deshalb beiden eine KulturLegi der Caritas aus. Mit dieser können sie im Caritas Markt günstig Lebensmittel einkaufen sowie zahlreiche Kultur-, Bildungs- und Sportangebote zu einem ermässigten Preis nutzen.

Weder der Vater noch die Mutter können sich Familienferien leisten. Wir melden die Mutter mit den Kindern bei der Reka Stiftung für Ferien in einem Reka-Feriendorf an. Wegen des knappen Angebots dauert es zwei Jahre, bis die Familie schliesslich in den Genuss dieser sehr günstigen Ferien (CHF 200 für einen einwöchigen Aufenthalt) kommt.

Frau, alleinerziehend, Aufenthaltsstatus N, Sozialhilfe

Frau Simar ist mit ihrem Mann und zwei Kindern geflüchtet. Aufgrund von Gewalt in der Ehe trennt sie sich. Sie lebt zunächst allein. Wegen ihres Aufenthaltsstatus N (Asylsuchende) ist der Grundbedarf in der Sozialhilfe geringer (CHF 824 anstatt CHF 1 031 pro Monat für eine alleinstehende Person in Basel-Stadt). Von der Sozialhilfe werden Miete und Gesundheitskosten übernommen. Frau Simar besucht einen Sprachkurs, dadurch erhält sie eine Integrationszulage von monatlich CHF 100. Später kann sie an einem Arbeitsprogramm teilnehmen, wodurch sie sich weitere CHF 100 «hinzuverdient». Nachdem ihre Arbeitsfähigkeit wegen einer Schulterverletzung eingeschränkt wird und sie dem Arbeitsprogramm nicht mehr folgen kann, wird die Zulage wieder gestrichen. Auch der Sprachkurs ist zeitlich begrenzt, sodass auch diese Zulage wegfällt. Weil die Miete für ihre Wohnung rund CHF 80 über dem Betrag liegt, den die Sozialhilfe übernimmt, muss sie diesen Betrag aus dem bereits reduzierten Grundbedarf bezahlen, welcher eigentlich für Grundbedürfnisse wie Ernährung und Kleidung gedacht ist. Wir stellen Frau Simar eine «Tischlein deck dich»-Karte aus. Mit dieser kann sie einmal pro Woche gratis Lebensmittel beziehen.

Als die 13-jährige Tochter zu ihr zieht, fehlen Möbel. Über eine baselstädtische Stiftung erhalten wir finanzielle Hilfe für die Anschaffung der erforderlichen Möbel. Frau Simar meldet sich sehr zurückhaltend für die Beratung. Man merkt ihr an, dass sie sich schämt, Hilfe anzunehmen.

Die Auswirkungen eines Lebens am Existenzminimum sind nicht nur finanzieller Natur, sondern betreffen auch die psychische Gesundheit, das soziale Wohlbefinden und die allgemeine Lebensqualität. Oft leiden Kinder darunter am meisten, da bei ihnen die Hilfsangebote nicht immer ankommen.

Vorgehen in der Budgetberatung

Die Inhalte der Budgetberatung sind sehr unterschiedlich und müssen individuell an die ratsuchende Person angepasst werden. In manchen Situationen kann es aufgrund sehr knapper Budgetvorgaben wenig Spielraum geben, wie die Fallbeispiele gezeigt haben. Bei Menschen am Existenzminimum steht deshalb in der Budgetberatung sehr häufig das Aufzeigen und Erschliessen von sozialstaatlichen Leistungen und privaten Hilfsangeboten im Mittelpunkt.

Gibt es doch Spielraum, ist es für uns das A und O, den ratsuchenden Personen gut zuzuhören und ihren Lebensstil wahrzunehmen. Zusammen können Ansatzpunkte gefunden werden, die zu den jeweiligen Personen passen und ihre Ressourcen miteinbeziehen. Allgemein wird bei den meisten Menschen eine Verhaltensveränderung erreicht, indem sie daran herangeführt werden, ihre eigene Situation stärker zur Kenntnis zu nehmen. Die Methode für ein realistisches Detailbudget kann variieren. Es muss gemeinsam ein System entwickelt werden, das zur jeweiligen Person passt: Für die eine kann es bedeuten, für ein paar Wochen Quittungen zu sammeln, für den anderen ist eine Budget-App hilfreich. Hat man den Überblick, werden veränderbare Ausgaben sichtbar gemacht und falls nötig und möglich angepasst. Zur Umsetzung der Anpassungen gibt es wiederum unterschiedliche Herangehensweisen: Bei gewissen Budgetposten lassen sich Jahresrechnungen in Monatsraten umwandeln, anderen hilft es, wenn sie ihr Bargeld in verschiedene Couverts aufteilen und so die Kosten für einzelne Budgetposten besser im Griff haben («Cash Stuffing»).

Diese Ausführungen zeigen, wie vielfältig die Lebenssituationen am Existenzminimum und der Umgang damit sind. Das Wissen um diese Vielfalt, die wir in unseren Beratungen Tag für Tag erleben, ist grundlegend, damit wir unseren fachlichen Ansprüchen entsprechend beraten können.