Portraits

Ein Beitrag von Klaus Petrus

«Arm sein ist anstrengend»

«Ich war nicht immer arm. Ich wuchs behütet auf, machte eine Lehre bei der Post, hatte eine gute Stelle. Dann lernte ich meinen Mann kennen, wir hatten drei Kinder, und als der Jüngste in die Primarschule kam, begann ich wieder Teilzeit zu arbeiten. Das tat mir gut. Irgendwann machte sich mein Mann wegen einer anderen davon und liess nie wieder von sich hören. Als wäre er vom Erdboden verschwunden. Und so stand ich, gerade vierzig geworden, allein mit den Kindern da.

Das war hart. Ich arbeitete viel, doch auf einen grünen Zweig kam ich nicht. Nach ein paar Jahren begann mich eine Diskushernie zu plagen. Zuerst biss ich die Zähne zusammen und lief eine Weile krumm, aber dann musste ich mich operieren lassen und konnte wochenlang nicht arbeiten. Auf die Schmerzen folgten die Existenzängste. Und zum ersten Mal kam mir der Gedanke: Heute arm, immer arm! Zum Glück konnte ich mich wieder aufrappeln. Bis zu meinem 55. Geburtstag. Bei diesem Fest mit Familie und Freunden fiel ich wie aus dem Nichts in ein rabenschwarzes Loch. Eine Freundin sagte später zu mir: «Das musste die Erschöpfung sein.» Wie auch immer, von da an ging alles in die Brüche, aber so richtig.

Inzwischen bin ich 72, ich lebe in einer Sozialsiedlung. Besuch habe ich kaum, ich möchte keine anderen Leute in meiner 1,5-Zimmerwohnung haben. Das wäre mir peinlich, denn es ist eng und laut hier. Darum nehme ich auch keine Einladungen an, denn ich weiss: Wer eingeladen wird, muss selber irgendwann einladen. Manchmal gehe ich mit Bekannten auf einen Kaffee, aber meistens ist das Geld knapp. Dann erfinde ich irgendwelche Ausreden – dass ich wieder einmal meinen Sohn besuchen möchte zum Beispiel oder dringend Nachbars Katzen hüten muss.

Arm sein ist anstrengend. Wie besessen schaue ich auf Preisschilder, schiele auf Aktionen und rechne den ganzen Tag rauf und runter. Es kommt mir vor, als würde ich nur in Franken und Rappen denken. Gehe ich einkaufen, weiss ich genau, an welchen Tagen was wo für wie viel zu haben ist: im Denner ein halbes Kilogramm Budget-Zwieback für 1.65 statt die normale Packung von 250 g für 3.20 oder in der Migros 6 Himbeer-Joghurts Aktion für 2.40 statt 1 fruchtiges für 75 Rappen. Mit dem Zug oder Postauto fahre ich nur, wenn es sein muss, denn es läppert sich zusammen; auch die kurzen Strecken sind teuer geworden.

Ja, irgendwann bewegt man sich überhaupt nicht mehr nach draussen, ist nirgendwo mehr dabei. Man wird unsichtbar. Bei uns Älteren fällt das vielleicht weniger auf. Auch meine Kinder meinen, eine alte Frau wie ich sei sowieso am liebsten daheim, schaue fern oder löse Rätsel – was natürlich Blödsinn ist. Dass ich jeden Franken dreimal umdrehen muss, wissen sie nicht. Ich will ihnen keine Sorgen bereiten. Manchmal ist Geld ein Thema. Die eine Tochter fragte mich neulich, wie das sei mit der AHV und ob ich damit über die Runden komme. Einmal kam sie auf Ergänzungsleistungen zu reden. Da wechselte ich das Thema. Ich weiss, ich habe diese Leistungen zugute. Und ich weiss, ich bräuchte mich dafür nicht zu schämen. Ich tue es trotzdem, irgendwie kann ich mich nicht dagegen wehren. Vielleicht werde ich doch noch aufs Amt gehen und Ergänzungsleistungen beantragen. Ich fürchte mich davor: all die Formulare, all die Fragen.

Manchmal gehe ich an den Hauptbahnhof, spreche die Leute möglichst dezent um Geld an. Es gibt welche, die denken, ich sei verwirrt, dann stecken sie dieser armen Alten ein paar Franken zu. Aber ich würde mich nie irgendwo hinstellen und betteln. Ich will nicht auffallen, nur das nicht.

Nicht, dass ich kein gutes Leben gehabt hätte. Aber ich habe kein gutes Alter. Bis heute habe ich dieses Gefühl, versagt zu haben.»

Liselotte Krähenbühl, 72, lebt in einer Sozialwohnung in der Nähe von Bern.


Ergänzungsleistungen

Ergänzungsleistungen (EL) können beantragt werden von Personen, deren AHV- oder IV-Rente das Existenzminimum nicht deckt. Das monatliche Existenzminimum * umfasst einen Grundbedarf (CHF 1 675) sowie Wohnkosten (max. CHF 1 465) und Krankenkassenprämien (max. CHF 629).

* Beträge für Alleinstehende in Basel-Stadt, per 1.1.2024

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«Alles bloss Schikane»

«Ich kam mit meinem jüngeren Bruder aus Pakistan in die Schweiz, wir mussten vor den Taliban fliehen. Wir stellten sofort den Asylantrag. Das war vor bald sechs Jahren. Dann, letzten Herbst, kam der negative Asylbescheid. Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, was das nun konkret für uns bedeutet. Dass man uns nach all den Jahren einfach wegschickt, das konnte ich mir nicht vorstellen. Oder sagen wir so, ich wollte es nicht wahrhaben.

Jetzt lebe ich von der Nothilfe, das sind 12 Franken am Tag. Sie fragen mich, wie man damit auskommen kann? Ich rechne immer von hinten her: Ein Tee in einem Restaurant kostet 4.80, dann bleiben 7.20, ein Doppelpack Snacks für 2.60, das macht dann noch 4.60, plus zweimal Tram fahren für 4.00, und schon bin ich runter auf ein paar Rappen. An manchen Tagen gebe ich nichts aus, weil ich gar nicht rausgehe. Auch haben wir, eine Gruppe von vier Leuten, so eine Gemeinschaftskasse, damit kaufen wir uns Essen: Reis und Gemüse, Früchte, manchmal Nüsse – für Fleisch reicht es kaum.

Ich will ehrlich sein: Für mich ist dieses Leben im Asylzentrum und mit Nothilfe alles bloss Schikane. Ich habe einmal mit einem Polizisten geredet, der sagte zu mir: Ihr seid illegal in der Schweiz, also müssen wir alles daransetzen, dass es für euch ungemütlich ist und ihr das Land so schnell wie möglich verlasst! Ich habe ihn gefragt, warum das Asylverfahren dann so lange dauert und man uns Jahre in der Schwebe lässt? Darauf wusste er keine Antwort.

Ich bin jetzt 30, habe in all den Jahren hier in der Schweiz einige Kurse besucht, habe Deutsch gelernt – inzwischen rede ich sogar ein bisschen Dialekt –, Freundschaften geschlossen mit anderen Pakistani, aber auch mit Schweizern. Und ich treibe Sport, das hilft mir sehr. Wir spielen Fussball sowie Hockey in der Halle, jeweils einmal die Woche, Dienstag und Freitag. So habe ich eine gewisse Struktur und motiviere mich, auch wenn ich mal nicht mag.

Alles in allem fühle ich mich wohl hier und möchte eigentlich bleiben. Wir haben jetzt ein Härtefallgesuch gestellt. Allerdings wurde uns gesagt, wir sollten uns keine allzu grossen Hoffnungen machen.

Am meisten Mühe macht mir, dass ich nicht arbeiten kann. Ich habe in ­Islamabad die Technische Hochschule besucht. Zwar konnte ich das Studium nicht abschliessen, aber ich habe Ahnung von Statik und Bauwesen. Aber das interessiert keinen, ich wurde jedenfalls nie danach gefragt, was ich kann. Dass ich keine Arbeit habe, macht mich abhängig – zugleich bin ich dadurch isoliert. Mit meinen Freunden kann ich nicht mithalten, sie besitzen ein Auto, gehen in den Ausgang, haben eine Freundin, leisten sich dies und das. Der eine von ihnen lädt mich meistens ein, er gibt mir auch Kleider oder sein altes Tablet und meint immer, ich solle mir keine Gedanken machen, das sei gut so. Ich glaube wirklich, dass er mir helfen will. Aber ich fühle mich nicht wohl dabei. Auch mag ich nicht immer den gutgelaunten, dankbaren Flüchtling spielen. Manchmal bin ich richtig wütend auf all das. Noch schlimmer ist es für meinen Bruder. Er ist drei Jahre jünger als ich, ist sensibel und spürt genau, dass er der Aussenseiter ist. In letzter Zeit verkriecht er sich immer mehr in seine eigene Welt.

Wie es weitergeht, das weiss ich nicht. Ich habe davon gehört, dass es Leute gibt, die mehrere Jahre am Stück so leben wie wir jetzt, mit 12 Franken am Tag. Auf der einen Seite kann ich mir das nicht vorstellen: Ich bin jung und gesund und möchte gerne arbeiten – soll ich die besten Jahre meines Lebens so vergeuden? Auf der anderen Seite ertappe ich mich dabei, dass mir das Hoffnung macht. Wenn andere während so langer Zeit von der Nothilfe leben, heisst das vielleicht, dass man uns am Ende doch nicht wegschafft? Aber vermutlich mache ich mir bloss etwas vor. Wir werden sehen.»

Hassan Rabbani (Name geändert), 30, ist mit seinem Bruder 2018 aus ­Pakistan in die Schweiz geflüchtet und lebt in einem Asylzentrum im Kanton Basel-Landschaft.


Asylsozialhilfe

Asylsuchende erhalten bei Bedarf eine reduzierte Sozialhilfe. In Basel-Stadt liegt der monatliche Grundbedarf dieser sog. Asylsozialhilfe genau 20 % unter dem Ansatz der ordentlichen Sozialhilfe (CHF 825). Hinzu kommen minimale Wohnkosten und Krankenkassenprämien.

Nothilfe

Abgewiesene Asylsuchende sowie Personen, deren vorläufige Aufnahme aufgehoben wird, haben keinen Anspruch mehr auf Asylsozialhilfe. Sie können nur noch Nothilfe beantragen, die wöchentlich ausbezahlt wird. Sie umfasst CHF 12.30 pro Tag sowie Gutscheine für die Notschlafstelle und medizinische Notversorgung.

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«Hauptsache, die Kinder merken nichts»

«Die Rechnung ist schnell gemacht: Mein Mann, 48, und ich, 36, haben drei Kinder – 3, 5 und 9 –, wir leben in einer 4-Zimmerwohnung und arbeiten beide Teilzeit in der Reinigung, das macht mit den Zulagen im Monat 4 800 ­Franken; abzüglich Miete, Nebenkosten, Krankenkasse, Kleidung, ÖV sowie einem fixen Betrag für Unvorhergesehenes bleiben uns 550 Franken für Essen und alles Weitere. Das ist wirklich nicht viel. Ständig ist man mit Geld beschäftigt, mit der Frage: Reicht das oder reicht es nicht? Soll ich lieber hier sparen und es stattdessen dort ausgeben? Wobei von Sparen eigentlich nicht die Rede sein kann. Ich kenne Leute, die sparen für einen Fernseher, für Ferien, eine Skiausrüstung oder gar ein Auto. Das haben wir alles nicht.

Mein Mann stammt aus Ghana, ich habe ihn im Asylzentrum kennengelernt, wo ich putzte. Es war, wie man so sagt, Liebe auf den ersten Blick. Bis unser Ältester auf die Welt kam, kam ich für alles auf. Aber es wurde immer enger. Als ich zum zweiten Mal schwanger war, erhielt mein Mann endlich seine Arbeitsbewilligung und wir dachten, jetzt seien wir abgesichert. Doch er bekam, allen Anstrengungen zum Trotz, keinen Job. Ich glaube, es ist schwierig als Ausländer in der Schweiz, egal, wie lange du schon hier bist oder was du alles kannst. Heute arbeitet mein Mann schichtweise in derselben Reinigungsfirma wie ich.

Ich habe schon früher vieles aus dem Brockenhaus gekauft – Geschirr, Kleider, Bücher –, das macht mir nichts aus. Das Schlimmste war für mich, als ich beim Essen rechnen musste. Der Weg zu den Tafeln war die grösste Hürde. Ich erinnere mich, wie ich mich zum ersten Mal buchstäblich dorthin geschlichen habe. Was ich dann sah – all die armen Leute, viele schon alt –, schockierte und beschämte mich. Ich fragte mich: Bin ich wirklich so schlimm dran, nehme ich nicht jemandem das Essen weg, der es noch nötiger hätte? Es ist ja nicht so, dass wir unter dem Existenzminimum leben und Sozialhilfe beziehen. Und doch. Irgendwie verstehe ich nicht, wie man die ganze Zeit arbeiten muss und trotzdem arm sein kann.

Früher oder später legt man sich ein Doppelleben zu. Ich versuche niemanden anzulügen, es ist eher so, dass ich über gewisse Dinge einfach nicht rede. Unser Umfeld ist selber nicht auf Rosen gebettet, aber Ferien liegen bei den meisten trotzdem drin oder Wanderungen mit den Kindern. Da können wir nicht mitreden. Das macht mich traurig. Eine Freundin von mir weiss Bescheid, sie ist die Einzige. Als sie von unserer Situation erfuhr, war sie völlig entrüstet, seither will sie mir immer Geld geben oder Rechnungen für mich bezahlen. Das ist mir peinlich, und eigentlich bereue ich es inzwischen, mit ihr darüber geredet zu haben. Ansonsten weiss niemand in unserem Bekanntenkreis, dass wir das Essen bei den Tafeln abholen und neuerdings auch die Kleider von Hilfsorganisationen bekommen. Schliesslich ist alles teurer geworden. Ich hoffe nicht, dass es noch schlimmer kommen wird. Manchmal träume ich davon, dass mir die Zähne ausfallen. Ich wüsste nicht, wie ich mir neue leisten könnte.

Hauptsache, die Kinder kriegen nichts davon mit – oder wenigstens nicht allzu viel. Mir ist wichtig, dass die Wohnung ordentlich ist und einladend, so können sie andere Kinder heimbringen, ihnen ihr Zimmer zeigen. Und dass sie ihr Spielzeug haben, normale Kleidung und so. Ich möchte nicht, dass sie auffallen, dass man ihnen ansieht, wie wenig wir haben. Man würde sie ausschliessen. Das ist meine grösste Angst. Wenig Geld haben ist das eine; nicht dazugehören ist schlimmer.»

Die Eheleute Asante-Stutz leben mit ihren drei Kindern in der Nähe von ­Winterthur, beide arbeiten in derselben Reinigungsfirma.


Working Poor

Wenn die Personen in einem Haushalt ihr Existenzminimum nicht decken können, obschon sie zusammen einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen (90 % oder mehr), gehören sie zu den Working Poor. Das Existenzminimum orientiert sich an jenem der Sozialhilfe und beträgt bspw. für eine Familie mit zwei Erwachsenen und mit zwei Kindern CHF 4 450 netto pro Monat.

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«Irgendwann begann ich mich selbst zu ­beschimpfen»

«Man sagte von mir, ich sei immer als Erster bei der Arbeit gewesen und hätte die anderen mit einem herzhaften ‹Guten Morgen, dann wollen wir mal!› begrüsst, was sie wohl eher amüsiert hat. Über zwei Jahrzehnte war ich im selben Betrieb angestellt und kümmerte mich um Buchhaltung und Bestellungen. Dafür muss man den Kopf beisammen haben, denn der kleinste Fehler hat Konsequenzen. Mir ist in all den Jahren nur einmal etwas Dummes passiert. Ich hatte eine wichtige Bestellung versäumt. Ich erinnere mich, dass ich mich zu jener Zeit irgendwie krank fühlte, ohne wirklich krank zu sein. Schon damals hatte ich so Phasen, wo sich alles um mich herum verdunkelte. Ich meine das nicht wörtlich, aber mir wurde schwer, alles war anstrengend; dann zog ich mich für Tage zurück. Sehr viel später meinte ein Arzt, ich hätte schon seit Jahren mit Depressionen zu kämpfen gehabt.

Als der Betrieb dichtmachen musste, war das für mich, als würde mir Knall auf Fall alles weggenommen: nicht bloss die Arbeit, sondern auch ein guter Grund, morgens aufzustehen und rauszugehen, die Kollegen, die Gespräche sowie dieses Gefühl am Abend, man habe sein Tageswerk getan, und gut ist. Ich weiss, das klingt übertrieben, aber es war, als wäre mir der Sinn des Lebens verlorengegangen. Jedenfalls fiel ich in ein tiefes Loch.

Damals war ich knapp über fünfzig. Wie viele Absagen ich in den nächsten zwei Jahren auf meine Bewerbungen erhalten habe, weiss ich nicht mehr, es waren bestimmt hunderte. Sowas nagt am Selbstbewusstsein. Irgendwann sagte ich mir: Was bin ich noch wert, wenn da draussen keiner mehr Verwendung für mich hat? Zwischendurch hatte ich kleinere Jobs, aber das war alles nur auf Zeit, und Respekt und Wertschätzung bekommt man da kaum. Mein Berater beim RAV meinte zwar, ich hätte mir alle Mühe gegeben. Ob das wirklich stimmte, weiss ich nicht recht. Jedenfalls wurde mein schlechtes Gewissen immer grösser, und ich erinnere mich, wie ich mich im Stillen selbst zu beschimpfen begann: ‹Du Nichtsnutz, jetzt klemm dich doch mal in den Hintern!› Aber das brachte nichts. Mit Mitte fünfzig wurde ich ausgesteuert und war nun ein Sozialfall.

Das war auch die Zeit, als die Abstände zwischen meinen Depressionen kürzer wurden. Es gab Tage, da kam ich kaum aus meiner Wohnung raus. Ich lag im Bett, sass auf der Toilette, blätterte in einem Magazin oder starrte ins Leere. Damals suchte ich noch den Kontakt zu meinen früheren Kollegen. Einige hielten mir manchmal ein wenig Arbeit zu, Buchhaltungen und sowas. Doch ich konnte schlecht damit umgehen. Ich wusste ja, dass sie das nur aus Mitleid taten. Vielleicht hätte ich zu jener Zeit zu einem Psychiater gehen sollen, auch wegen einer IV. Bis heute habe ich das Gefühl, ich müsse selber damit klarwerden.

Irgendwann machte ich mich rar und suchte stattdessen Kontakt zu Leuten auf der Strasse. Ich meine die, die ihre Tage am Bahnhof, an den Haltestellen, in Parks oder Kneipen verbringen. Vielleicht war das ein Fehler. Aber hier wird man wenigstens nicht die ganze Zeit gefragt, ob man endlich Arbeit hat. Niemand ruft dir zu: ‹Dem armen Schlucker noch ein Bier!› Auch kümmert sich keiner, warum ich hier gelandet bin. Das ist gut so. Die Schattenseite: Ich bin zum Trinker geworden. Manchmal, das gebe ich zu, spare ich beim Essen für ein paar Dosen Bier extra.

Im Grunde ist es einfach: Ich bin jetzt 63 und schäme mich fürchterlich, dass alles so weit kommen konnte. Manchmal hasse ich mich dafür. Ich weiss, ich hätte es besser machen müssen. Am Schlimmsten ist, wenn ich den Leuten etwas vorgaukle. Neulich traf ich einen Arbeitskollegen von früher, wir redeten über dies und das, irgendwann sagte ich zu ihm: ‹Noch zwei Jährchen, dann heisst es endlich: Beine hochlegen.› Beim Abschied wünschte er mir Glück.»

Albert Liechti (Name geändert), 63, ist wohnhaft in Biel und seit über zehn Jahren arbeitslos.


Sozialhilfe

Sozialhilfe ist ein Auffangnetz und kann von allen Personen mit Aufenthaltsrecht in der Schweiz beantragt werden, die ihr Existenzminimum nicht selbst verdienen und auch von Dritten keine oder nicht rechtzeitig Hilfe erhalten können. Die monatliche Grundsicherung* setzt sich zusammen aus einem Grundbedarf (CHF 1 031) sowie Kosten für Wohnen (max. CHF 880) und Krankenkassenprämien (max. CHF 601).

* Beträge für Alleinstehende in Basel-Stadt, per 1.1.2024

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