Das dreimal jährlich erscheinende Online Magazin RADAR der Christoph Merian Stiftung informiert über die Hinter- und Beweggründe des CMS-Engagements.

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Freiraumkonzept Dreispitz

Vision und ­Massnahmen für ein Quartier der Zukunft

Dieses Konzept ist eine Ergänzung des im Jahr 2022 von der CMS und Herzog & de Meuron Architekten erarbeiteten « Plan Guide Dreispitz – Leitbild für die Transformation » und baut auf dessen Themen und Handlungsempfehlungen auf. Das Freiraumkonzept verfolgt mehrere übergeordnete Ziele, darunter die Verbesserung der stadtklimatischen Bedingungen, die Verbesserung der Aufenthaltsqualität durch hochwertige Aussenräume, mehr Grünflächen und Schatten sowie die Erhöhung der Biodiversität und Förderung der Koexistenz. Zudem werden ein zukunftsweisendes Mobilitäts- und Parkierungskonzept sowie ein innovatives Wassermanagement angestrebt.

Der Dreispitz wandelt sich ständig. Das Freiraumkonzept ist daher kein abgeschlossenes Zielbild, sondern eine Absichtserklärung zur freiräumlichen Entwicklung. Es dient wie der Plan Guide als Reflexionsinstrument, das bestimmte Prinzipien und Leitplanken für die Transformation des Dreispitz definiert. Es hilft der Grundeigentümerin CMS, den Baurechtsnehmenden und Investoren, der öffentlichen Hand und allen künftigen Planungsbeteiligten als Richtschnur und Entscheidungs­grundlage.

Verfasst wurde das Konzept von einem interdisziplinären Planungsteam unter der Leitung von S2L Landschaftsarchitektur aus Zürich, wobei Fachbeiträge von verschiedenen spezialisierten Büros eingeholt wurden. Die Ergebnisse wurden in mehreren Workshops mit einer Begleitgruppe aus Fachpersonen und Vertreter:innen kantonaler und kommunaler Verwaltungsstellen sowie dem Betrieb Dreispitz diskutiert. Das Konzept soll in Berichtform im Q1 / 2025 vorliegen.

FRK Dreispitz Axo A3

Daia Stutz hat Landschaftsarchitektur an der Hochschule für Technik in Rapperswil und Städtebau ander ­Harvard University studiert. Er ist Gründer und Co-Leiter des Landschaftsarchitekturbüros S2L in Zürich. Für die CMS hat S2L das Freiraumkonzept Dreispitz, Basel-Münchenstein entwickelt.


Herr Stutz, zunächst einmal die Frage : Wie würden Sie den Dreispitz charakterisieren ? Warum ist dieses Areal so besonders ?

Der Dreispitz – bis vor Kurzem eine Art « verbotene Stadt » – ist von seiner städtebaulichen Morphologie, also von seiner Grundstruktur her, sehr speziell. Ursprünglich wurde das Areal für den Warenumschlag konzipiert und war für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Die Gebäude und Gassen sind alle auf die Gleise ausgerichtet, was sehr spezifische Aussenräume generiert : Sie haben eine unglaubliche Tiefe, sind aber gleichzeitig auch sehr schmal. Nach aussen hin ist das Areal klar abgegrenzt und bildet eine Dreiecksform, daher auch der Name Dreispitz. Heute ist der Dreispitz ein Konglomerat aus vielen unterschiedlichen Welten : hier ein Boxclub, dort eine Bar, dazwischen ein Hinterhof. Diese Vielseitigkeit macht den Charakter des Areals und seinen speziellen Charme aus.


Für eine so riesige, heterogene Fläche wie den Dreispitz ein Freiraumkonzept zu entwickeln, ist eine komplexe Aufgabe. Was ist hier die grösste Herausforderung ?

Die grösste Challenge liegt darin, die DNA und die Qualitäten dieses industriell geprägten Ortes zu wahren, aber gleichzeitig das Areal zu transformieren und für die Zukunft klima-fit zu machen. Konkret heisst das : Die Grundstruktur des Areals mit seinen spezifischen Gleishöfen und den langen Gassen soll erhalten bleiben, auch wenn das Areal künftig verdichtet wird. Um aus dem Dreispitz ein lebenswertes Quartier mit hoher Aufenthaltsqualität zu machen, spielt der Gebrauchswert der Freiräume eine zentrale Rolle. Das bedeutet, das Freiraumkonzept muss unterschiedliche Nutzungen der heute teilweise stark verkehrsbeanspruchten Flächen ermöglichen und die sozialräumliche Vielfalt des zukünftigen Dreispitz-Quartiers widerspiegeln. Es soll für die Menschen ein attraktiver und aneigenbarer Ort entstehen. Momentan gibt es allerdings noch einige Hindernisse, vor allem auch in stadtklimatischer Hinsicht : Der Versiegelungsgrad ist sehr hoch und es hat kaum Vegetation. Dadurch entstehen Hitzeinsel-Effekte.


Und welche konkreten Massnahmen haben Sie vorgesehen, um der Überhitzung entgegenzuwirken ?

Die wichtigsten Strassen- und Bewegungsräume – wir nennen sie « Klima-Kitt » – werden möglichst entsiegelt und mit vielen Bäumen bepflanzt. Zu diesen Bereichen gehören insbesondere die sogenannten Raumtaschen. Hierbei handelt es sich um dreieckige Resträume, die vorwiegend dort entstehen, wo Gassen und Gleishöfe auf Strassen treffen. Diese Raumtaschen sind sehr charakteristisch für den Dreispitz. Wir hatten die Idee, sie zu erhalten und so zu bepflanzen, dass daraus jeweils eine Art Pocket-Park – also ein Grünraum im Miniformat – entsteht. Die Bäume sorgen für Verschattung und Verdunstung, was zur Kühlung des Stadtraums beiträgt und diesen vor Überhitzung schützt. Auch vier unterschiedlich begrünte Parkanlagen sowie ein Dachpark tragen zum verbesserten Stadtklima bei. Zudem sollen Luftkorridore erhalten beziehungsweise zusätzliche geschaffen werden, damit Kaltluftströme aus dem Osten in das Areal fliessen können.


Mit entsprechender Vegetation und mit Luftkorridoren sorgen Sie für ein kühleres Stadtklima. Gleichzeitig sollen auf dem Dreispitz auch die trockenwarmen Naturräume, die in der Schweiz einzigartig sind, geschützt werden. Wie geht das zusammen ? Und was macht diese trockenwarmen Flächen aus ?

Das ist in der Tat ein gewisser Zielkonflikt. Diese exponierten und stark besonnten Schotterflächen sollen zu einem Grossteil erhalten bleiben – obwohl sie nicht zur Klimaverbesserung beitragen und auch keinen hohen Nutzwert für den Menschen haben, da sie möglichst wenig betreten werden sollten. Dafür sind die brachen Flächen aber unter ökologischem Aspekt extrem wertvoll : Hier leben und wachsen viele spezialisierte Tier- und Pflanzenarten, die bereits auf der Roten Liste stehen, zum Beispiel die Blauflügelige Sandschrecke ( Sphingonotus caerulans ) und der krautige Trauben-Gamander ( Teucrium botrys ). Diese Naturräume weisen eine sehr hohe Biodiversität auf und sind absolut schützenswert. Darum ist es der Christoph Merian Stiftung wichtig, sie weitestgehend zu erhalten und auch neue zu schaffen.


Aber wie wollen Sie es erreichen, dass diese ökologisch kostbaren Brachflächen möglichst nicht betreten werden ? Schliesslich werden sich in Zukunft immer mehr Menschen auf dem Areal tummeln.

Mit einer entsprechenden Wegeführung und Besucherlenkung lässt sich bereits viel erreichen. Mensch und Tier können durchaus auf einem Areal wie dem Dreispitz koexistieren. Aber natürlich muss man die Menschen auch aktiv für diese schützenswerten Habitate sensibilisieren, beispielsweise mit Plakaten oder Stellwänden.


Aufgrund des Klimawandels ist künftig häufiger mit Starkregen und langanhaltenden Niederschlagsphasen zu rechnen. Wie sieht denn diesbezüglich Ihr Wassermanagement-Konzept aus ?

Unser Ziel ist es, aus dem Dreispitz eine Schwammstadt zu machen. Das bedeutet : Das Wasser soll versickern, aufgefangen und gespeichert werden, bis es wieder verdunstet oder der Vegetation zur Verfügung gestellt wird. Das Prinzip steht hierbei allerdings in einem gewissen Widerspruch zu den trockenwarmen Flächen, deren Schotterschichten sehr durchlässig sind und wo das Wasser einfach abfliesst. Darum ist unsere Idee, in den Pärken und im Bereich der Klimataschen möglichst viele unversiegelte Flächen anzubieten, wo das Wasser gesammelt wird.


Was macht das Projekt für Sie persönlich aussergewöhnlich ?

Um das Freiraumkonzept in all seiner Tiefe überhaupt erarbeiten zu können, hat uns die Christoph Merian Stiftung grossartige Expert:innen zur Seite gestellt – darunter Spezialist:innen zu den Themen Stadtklima, Schwammstadt, Ökologie, Städtebau, Infrastruktur, Mobilität und Verkehr. Das Team war sehr interdisziplinär aufgestellt und ich habe durch den intensiven Austausch unglaublich viel gelernt.


Verraten Sie uns abschliessend noch Ihren Lieblingsort auf dem Dreispitz ?

Den einen Ort gibt es für mich nicht. Die enorme Vielfalt macht es letztlich aus. Um trotzdem zwei Plätze herauszugreifen : Zum einen gibt es bei der Rakete Dreispitz einen Gleishof, den ich auf seine roughe Art sehr idyllisch finde. Zum anderen mag ich die Gleisfelder beim stillgelegten Schwertraintunnel, welcher zu einem grossen Wasserbecken umgenutzt werden soll. Die Weite und Grosszügigkeit dort finde ich faszinierend.


Interview : Susanne Lieber