Aufnahmen des Basler Fotografen Claude Giger
Fotografie als Dokument und Kommentar
Geprägt durch ein linkes, weltoffenes und kulturinteressiertes Elternhaus, kam der 1952 geborene Claude Giger früh mit der Fotografie und mit dem gedruckten Wort in Berührung. Seine erste Kamera erhielt er zu Weihnachten 1960. Später absolvierte er eine Lehre als Tiefdruckfotograf bei der damals bedeutenden Druckerei Birkhäuser AG. Dort erlernte er das Handwerk von Grund auf, ehe er als freischaffender Fotograf für Schweizer Zeitungen und Zeitschriften zu arbeiten begann. Giger war während Jahrzehnten Zeitzeuge – bei den Studentendemos der 68er-Bewegung, bei der kurzen Belebung des AJZ an der Hochstrasse, bei der Besetzung und Räumung der Alten Stadtgärtnerei im St. Johann oder bei den Protesten gegen den Zweiten Golfkrieg. Seine fotografischen Einblicke in Schweizer Produktionsstätten der Industrie und des Handwerks erinnern heute an längst vergangene Zeiten, in denen hauptsächlich das Gewerbe und die mittelständischen Unternehmen den Reichtum des Landes erwirtschafteten.
Mehrere Tausend eindringliche Porträts belegen Gigers empathischen Blick für die Menschen auf seinen Fotos. Ihre Eigenart einzufangen und zugleich ihre Würde zu bewahren, prägt seine Aufnahmen – Neugier und ehrliches Interesse statt Sensationslust. In berührenden Bildern zeigt Giger die Menschen in ihrem Alltag, bei der Arbeit, in ihrem gesellschaftlichen und politischen Engagement oder als Menschen, die auf der Flucht in die Schweiz kamen.
Beim Blick auf Claude Gigers Motive fällt sein früh geschulter, intuitiver Blick für Situationen auf. Die reiche Erfahrung als Pressefotograf lässt ihn das Geschehen anders beobachten. Er ist im Grunde immer schon einen kleinen Schritt voraus, um zur rechten Zeit am rechten Ort und hellwach zu sein. Er muss Menschen und ihr Handeln anders erfassen, um in Sekundenbruchteilen über Blickwinkel und Bildausschnitt zu entscheiden. Giger lässt am Ende seine Fotos nahezu immer als Ganzes stehen, wählt nicht erst im Nachhinein optimierte Ausschnitte. Das starke, das einprägsame Bild entsteht im Kopf und vor Ort.
Dass Gigers fotografischer Vorlass nun im Schweizerischen Sozialarchiv erschlossen und aufbewahrt, digitalisiert und in Teilen der Öffentlichkeit als Open Content zugänglich gemacht wird, ist nur konsequent. Angesichts der virtuosen Beherrschung der bildbestimmenden Mittel sind seine Fotografien nicht allein Dokumente ihrer Zeit. Sie sind zugleich visuelle Kommentare, deren Geschichten weit über das Abgebildete – kulturelle, politische und soziale Ereignisse – hinausreichen. Gigers Aufnahmen äussern sich bildstark und selbstbewusst nicht nur zum Sichtbaren, sondern vielfach auch zu dem, was dem Auge verborgen bleiben muss. Somit gehen sie weit über das Dokumentarische hinaus und erzählen in der Zusammenschau von fast einer halben Million Bildern im Grunde eine ganze Epoche in facettenreichen Momentaufnahmen.
Nicht zu unterschlagen ist der Aspekt, dass Giger und seine fotografierenden Zeitgenossen die letzten sein werden, deren visuelles Schaffen und Erbe hauptsächlich aus analogen Fotografien besteht. Um so erfreulicher, dass die Fotos nun auf einer sicheren und für alle zugänglichen Plattform erhalten bleiben.