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Buchändler Jens Stocker ist zuversichtlich

Das Buch wird bleiben, es ist gut für die Seele

Jens Stocker
INTERVIEW: WOLFGANG BORTLIK FOTOS: KATHRIN SCHULTHESS

Ich steige in den ersten Stock der grössten Buchhandlung Basels und warte auf Jens Stocker, den vielbeschäftigten Mitinhaber und Geschäftsführer von Bider & Tanner. Es ist viel los. Ich habe hier schon Buchvernissagen gemacht und kenne Jens Stocker als aufgeschlossenen und innovativen Buchhändler. Meine erste Frage bietet sich daher an.

Dem Buch wurde schon oft das Verschwinden und der baldige Tod vorhergesagt. Besteht diese Gefahr wirklich?

Nein, das glaube ich nicht. Das Buch ist gut für die Seele. Es ist ein Träger von Wissen und ein traditionelles und schönes Geschenk. Und wer möchte schon ein Kunstwerk aus Inhalt und Form durch einen Bildschirm ersetzen? Überdies sind etwa 90 Prozent bei den Verkäufen immer noch richtige Bücher und nur etwa 10 Prozent davon E-Books. Ich glaube, es gibt bereits eine digitale Übersättigung. Und ich bin der festen Meinung, dass E-Books der Tod der gesamten Branche wären.

Du betreibst ein Kulturhaus, da gibt es auch eine Musikabteilung, zudem kann man Veranstaltungstickets beziehen. Und ich habe soeben am SBB-Schalter im 1. Stock eine Tageskarte für mein Velo gelöst. Wie bleibt Bider & Tanner dennoch eine traditionelle Buchhandlung?

Wir empfangen alle Vertreter:innen der wichtigsten deutschsprachigen Verlage und wir studieren begierig die Vorschauen der Verlage. Je nach Abteilung, ob Literatur, Sach- oder Kinderbuch, beschäftigen sich alle Mitarbeitenden mit den Novitäten. Dabei informieren wir uns auch digital.

Was macht den guten Buchhändler, die gute Buchhändlerin aus?

Man muss immer auf alle Wünsche der Kundschaft vorbereitet und zuvorkommend sein. Als Buchhändlerin wird man nicht reich, aber es ist ein schöner Beruf. Man hat einen Inhalt fürs Leben, für das Gemüt und die Seele.

Was bewirkt denn gute Verkäufe? Besprechungen und Hinweise in den Medien?

Das Fernsehen ist wichtig, etwa Sendungen wie Markus Lanz oder Anne Will. Wenn da ein Sachbuchautor über sein neues Werk redet, dann wollen die Leute das am nächsten Tag kaufen. Selbstverständlich merkt man im Laden auch, wenn Kultursendungen wie der Literaturclub ein Buch vorstellen. Man muss also immer informiert sein. Die Kundschaft muss im Idealfall das Buch, das im Fernsehen gezeigt wurde, am anderen Tag in der Buchhandlung vorfinden.

Wie sieht es beim CMV aus, welche Bücher verkauften sich besonders gut?

Der CMV-Bestseller bei uns waren eindeutig die Tagebücher von Bruno Manser. Auch «Ausleben» von Mena Kost ist gut gelaufen. Früher war es das Basler Stadtbuch, das jetzt nur noch digital erscheint. Es ist schön, dass der CMV diese Bücher machen kann. Stiftungen wie die CMS sind von unschätzbarem Wert für das kulturelle Leben der Stadt.

Jens Socker Tisch

Es gibt ja unendlich viele Bücher und sehr viele Verlage. Kriegt man als Buchhändler wirklich mit, was alles erscheint? Ist jeder Wunsch der Kundschaft erfüllbar?

Unmögliches dauert ein bisschen länger. Aber da hat die Digitalisierung schon sehr geholfen. Man kommt an alle relevanten Informationen – und der Kunde auch, etwa über unsere Homepage.

Noch kurz zu einem Streit in der Branche. In der Schweiz ist der feste Buchpreis aufgehoben worden. In Deutschland nicht. Da kostet das Buch überall gleichviel. Was meinst du dazu?

Als Marketingfachmann war mir die Buchpreisbindung schon immer ein Dorn im Auge. Beim Marketing ist der Preis einer der wichtigsten Faktoren. Wäre die Aufhebung des Buchpreises in der Schweiz kein Segen gewesen, gäbe es nicht mehr so viele Buchhandlungen. Ein und dasselbe Buch kann und darf an Orten, wo die Kaufkraft höher ist, mehr kosten. Die Buchhändler:innen sind dank der aufgehobenen Buchpreisbindung zum Kaufmann respektive zur Kauffrau gereift.

Wer verdient denn wie viel an einem Buch, gibt es einen verbindlichen Schlüssel?

Der Verlag bestimmt einen empfohlenen Verkaufspreis, 10 Prozent davon erhält der Autor, 40 Prozent die Buchhandlung, 20 Prozent gehen an Vertretung und Zwischenbuchhandel, der Rest bleibt beim Verlag, grob gerechnet und mit vielen Ausnahmen.

Kommen wir zum Schluss noch zu etwas, das unter Corona arg gelitten hat: Veranstaltungen in der Buchhandlung, haben sie dir gefehlt?

Buchvernissagen und Lesungen sind immer «nice to have», aber damit verdient man bei all dem Aufwand eigentlich kein Geld. Aber es sind schöne und interessante Anlässe, das Publikum kommt und geniesst den direkten Kontakt.

Wer so lange im Geschäft ist, hat sicher noch eine Anekdote aus der weiten, wilden Welt des Buchhandels auf Lager, erzählst du uns eine?

1942 eröffnete Theo Tanner seine Buchhandlung in Basel. Er war ein Mensch des Buches und empfand einen geradezu körperlichen Ekel vor Bargeld. Nach einem einträglichen Verkaufstag in der Weihnachtszeit war sein Abscheu so gross, dass er die Tageseinnahmen hinter einer Reihe Bücher im Regal versteckte, um das Bargeld nicht mit nach Hause nehmen zu müssen.