Leben und Wirken
Wer war Margaretha Merian-Burckhardt?
Sein Name ist in aller Munde. Doch wer war sie, die Ehefrau des bedeutendsten Basler Stifters? Lässt sich eine Frau wie Margaretha Merian-Burckhardt überhaupt unabhängig von ihrem berühmten Ehemann denken? Und wie sah denn eigentlich ein grossbürgerliches Frauenleben im 19. Jahrhundert aus?
Basel, 8. September 1806: Rosina Iselin, Tochter des Wirtes «zu den drei Königen», schenkt dem Seidenbandfabrikanten Jeremias Burckhardt ein zweites Kind. Auf den erstgeborenen Sohn Daniel folgt ein Jahr später die nach ihrer reichen Grosstante benannte Tochter Margaretha. Die beiden Geschwister wird ihr Leben lang ein spezielles Band verbinden. Kein Seidenband, wie es in der väterlichen Fabrik bereits seit drei Generationen hergestellt wurde, sondern das Band inniger Freundschaft und Verbundenheit. Gemeinsam mit Ludwig, Valeria und Rosina, den drei jüngeren Geschwistern, wachsen die beiden im Haus «zum Gyren» in der Neuen Vorstadt (heute Hebelstrasse 7) auf. Die Stimmung dort bezeichnet der zweite Merian-Biograph Gustaf Adolf Wanner als von Einfachheit, Zurückgezogenheit und Frömmigkeit geprägt. Kein Vergleich zum Wildt’schen Haus am Petersplatz, dem Barockpalais ihrer Grossmutter!
Damals war Schulbildung für Mädchen alles andere als selbstverständlich. Im Gegensatz zu Töchtern aus ärmeren Familien durfte Margaretha Burckhardt eine Privatschule besuchen, später sogar die höhere Töchterschule. Dort standen täglich drei Stunden Vormittagsunterricht in Religion, Französisch, Deutsch, Rechnen, Schreiben und einer Mischung aus Geschichte, Geographie und Naturkunde auf dem Stundenplan. Am Nachmittag wurde dann ganz im Sinne der spezifisch weiblichen Erziehung noch Handarbeit unterrichtet – auf Französisch! Die Kenntnis der französischen Sprache galt im damaligen Basel als besonders vornehm. So verbrachte Margaretha Burckhardt nach ihren Schuljahren einige Zeit mit ihrer jüngeren Schwester Valeria am Genfersee. Ein solcher Welschlandaufenthalt am Übergang zum Erwachsenenalter gehörte für die besser betuchten Basler Töchter zum guten Ton. Meist in einer Pension untergebracht, lernten die Mädchen dort nicht nur Französisch, sondern auch Nadelarbeiten und andere auf die Praxis ausgerichtete «weibliche» Beschäftigungen sowie gute Manieren, Körperhaltung, Geschmack und «usage du monde». Statt auf eine anspruchsvolle, intellektuell fordernde Berufsarbeit galt es Mädchen im 19. Jahrhundert in erster Linie auf ihre spätere Rolle als Ehefrau, Hausfrau und Mutter vorzubereiten. Der Aufenthalt in der Ferne diente also vor allem dazu, den Wert einer jungen Frau auf dem Heiratsmarkt zu steigern.
Bei Margaretha Burckhardt scheint dies funktioniert zu haben: Wie schon ihr Grossvater machte auch sie die im Hinblick auf das (Erb-)Vermögen beste Partie in Basel. Mit gerade einmal 18 Jahren heiratete die Fabrikantentocher den Spross einer reichen Kaufmannsfamilie: Christoph Merian Junior. Nicht nur verbanden sich mit der frisch geschlossenen Ehe zwei Familien der altbürgerlichen Elite, sondern es gaben sich indirekt auch das Textilgewerbe und der internationale Grosshandel die Hand. Dies dürfte kaum Zufall gewesen sein. Insbesondere Töchter fungierten im Daig als wichtiges Bindeglied. Durch gezielte Verheiratung festigten sie Geschäftsbeziehungen und sicherten sowohl die soziale Stellung als auch das Vermögen der Familie ab. Noch vor der Hochzeit wurde in der sogenannten Eheabrede vertraglich geregelt, wie die Vermögenswerte zwischen den beiden Familien transferiert und im Todesfall verteilt werden sollten.
Solange Margaretha Burckhardt unter dem Dach ihrer Eltern wohnte, kümmerte sich ihr Vater um ihre finanziellen und rechtlichen Angelegenheiten. Die Eheschliessung bedeutete für sie als Frau des 19. Jahrhunderts nun aber den Austritt aus der väterlichen Schutzgewalt. Von diesem Zeitpunkt an war sie der rechtlichen Fürsorge und Entscheidungsmacht ihres sechs Jahre älteren Ehemanns unterstellt. Gemeinsam mit ihm zog sie in dessen Elternhaus ein. Während die Schwiegereltern die unteren Geschosse des Ernauerhofs im St. Alban-Graben bewohnten, durfte das junge Paar den zweiten Stock des Hauses für sich beanspruchen. Ihr neues Zuhause war, zumindest zu Lebzeiten des Schwiegervaters, durch sichtbaren Reichtum geprägt. In die gleiche Richtung ging sein äusserst grosszügiges Hochzeitsgeschenk: Christoph Merian vermachte seinem gleichnamigen Sohn das gesamte Landgut Brüglingen am südöstlichen Stadtrand Basels.
Leider ist über Margaretha Merian insbesondere während der 34 Jahre ihrer Ehe mit Christoph Merian wenig Konkretes bekannt. Kein Tagebuch, kein Haushaltsbüchlein und auch keine Briefe sind von ihr überliefert, die uns noch Einblick in ihr Leben gewähren würden. Was uns dagegen bleibt, ist das Wissen über die zeitgenössischen Aufgaben einer Ehefrau aus der Basler Oberschicht – und ein bisschen historische Vorstellungskraft.
Mit Eintritt in die Ehe wurde Margaretha Merian nicht nur Ehefrau, sondern erhielt auch die verantwortungsvolle Rolle der Hausherrin. Im Sinne einer Haushaltsvorsteherin überwachte sie gleich zwei grosse Hauswesen: im Sommer den herrschaftlichen Landsitz in Brüglingen, im Winter (spätestens nach dem Tod ihrer Schwiegermutter) den Ernauerhof. Das saisonale Bewohnen eines eigenen Stadt- und Landhauses war in ihrer Zeit bei wohlhabenden Familien Courant normal, vermutlich jedoch mit viel Organisation und zusätzlichem Aufwand für die Hausherrin verbunden. Denn nur ein perfekt geführter Haushalt repräsentierte Wohlstand und bürgerliche Respektabilität. Es galt gleichsam dem Ehemann ein behagliches Daheim zu schaffen, in dem sich dieser von der konkurrenzorientierten Öffentlichkeit erholen konnte. Margarethas Spezialität war eine Reseda-Kultur, die sie an einem sonnigen Fenster im Hauseingang stehen hatte. Diese erfüllte die Luft mit einem frischen, blumigen Duft.
Unterstützung im Haushalt erhielt Margaretha Merian durch das Dienstpersonal, dessen Anleitung ebenfalls in ihren Aufgabenbereich fiel. Gemeinsam mit Christine Georg, der Köchin, und Ursula Buess, dem Dienstmädchen, Christinli und Urseli genannt, sorgte sie beispielsweise für den tadellosen Empfang von Gästen. Grossen Aufwand betrieben sie alljährlich für die traditionellen Familientage in Brüglingen. Dafür reiste die ganze Verwandtschaft in Pferdekutschen an, und die sonst sehr sparsame Margaretha Merian wartete mit einer «Tischkrachete», einem besonders reichlichen Essen, auf. Dessen Zubereitung überliess sie grösstenteils der Köchin. Es gehörte aber zum guten Ton, dass die Hausherrin den Dessert als krönenden Abschluss selbst zubereitete. Dies war dann beispielsweise «Gugelhopf und Biscuitstorte, gefolgt vom obligaten Blancmanger mit den interessanten schwarzen Vanilletupfen». Die Sorge um das leibliche Wohl und die Gesundheit aller Haushaltsmitglieder war die zentrale Aufgabe jeder Hausherrin. So war es auch Margaretha Merian, die sich hingebungsvoll sowohl um ihre Schwiegereltern als auch um ihren Ehemann kümmerte, wenn diese Pflege benötigten. In einer Hinsicht erfüllte Margaretha Merian die zeitgenössischen Erwartungen an eine Frau allerdings nicht: Sie blieb zeitlebens kinderlos.
Trotzdem wird ihre Ehe nachträglich als eine glückliche beschrieben, voller gegenseitiger Liebe und Zuneigung. 34 Jahre verbrachten die beiden miteinander, oftmals äusserst zurückgezogen und auf sich selbst als Paar zurückgeworfen. Ungeachtet der zeitgenössischen Vorbehalte gegenüber der weiblichen Denkfähigkeit hat Christoph Merian sogar seine weitreichenden Stiftungsabsichten mit seiner Ehefrau vorbesprochen. Wie bedingungslos dieses Vertrauensverhältnis war, liest sich in seinem Testament: Margaretha Merian wird zu seiner «einzigen und wahren Universalerbin», soll sein ganzes Vermögen «an sich ziehen», «um mit demselben, so lange sie lebt, frei, ungehindert und nach Belieben zu schalten und zu walten (...)».
28 lange Jahre lebte Margaretha Merian als Witwe. Auf ihren Schultern lag die Verantwortung für sämtliche Verpflichtungen, denen ihr Mann nicht mehr nachgehen konnte. Nur sie allein wusste, wie ihr Gatte in Bezug auf Vergabungen entschieden hätte. In ihrer Handlungsfreiheit aber war sie eingeschränkt. Als Frau durfte Margaretha Merian weder selbstständig über ihr Vermögen verfügen noch rechtsgültige Verträge abschliessen. In Basel galt bis 1876 das Prinzip der Geschlechtsvormundschaft. Entsprechend zierte nicht ihre eigene, sondern die Unterschrift ihres nächststehenden Bruders die wichtigen Papiere. Dass ihr Handlungsspielraum trotzdem beachtlich war, zeigt sich insbesondere in ihrem eigenwilligen Schulregiment der Kleinkinderschule St. Elisabethen. Anstelle des ursprünglich als Oberaufsichtsorgan vorgesehenen Frauenvereins übernahm Margaretha Merian schlussendlich die Leitung und Verwaltung der Schule in Eigenregie. Sie zeigte sich bis ins hohe Alter als eine strenge, stets dunkel gekleidete Schulleiterin, die sich hartnäckig gegen religiöse wie auch gegen pädagogische Reformen wehrte. Ihre konservativ-kirchliche Haltung zeigte sich auch in der Bevorzugung von religiösen Organisationen für ihre grosszügigsten Vergabungen.
Margaretha Merian verstarb am 3. Mai 1886. Sie wurde neben ihrem Ehemann in einer speziell für sie vorgesehenen Gruft unter dem Chor der Elisabethenkirche bestattet.
TEXT: JOANA BURKART, HISTORIKERIN M.A., CO-PRÄSIDENTIN UND STADTFÜHRERIN VEREIN FRAUENSTADTRUNDGANG BASEL
Wer Margaretha Merian im Rahmen eines Frauenstadtrundgangs begegnen möchte, besucht «Nur Kraut und Rüben am Stadtrand? Ein Rundgang zwischen Dino und Dreispitz».