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Bildung und Vermittlung

Lernen ein Leben lang – gezielt oder auch ganz nebenbei

TEXT: MIRIAM GLASS

Binta* hat Angst. Nächste Woche ist ein Termin in der Schule ihrer Tochter vereinbart. Es geht darum, einen Bericht des Schulpsychologischen Dienstes zu besprechen. Eine wichtige Angelegenheit. Doch Binta fürchtet, dass sie ihre Fragen im entscheidenden Moment nicht gut formulieren kann. Dass über ihre Tochter entschieden wird, ohne dass sie sich als Mutter einbringen kann. Diese Sorge erzählt sie der Leiterin im Eltern Kind Zentrum MaKly am Claragraben, bevor dort ihr Deutschkurs beginnt. Am nächsten Tag geht eine Mitarbeiterin des Quartiertreffpunkts den Bericht zur Tochter mit Binta durch. Sie übersetzen Fachwörter, besprechen Bintas Fragen und schreiben die wichtigsten auf. Nun ist Binta vorbereitet. Die Angst lässt nach.

«Mit kleinen Inputs erzielen wir eine grosse Wirkung», sagt MaKly-Leiterin Mireille Lingg, als sie die Begegnung mit Binta schildert. Sie hat im vergangenen Jahr im MaKly das «Lernzentrum» aufgebaut. Hier gibt es Inputs zu Bewerbungen, Mietrecht oder Erziehung. Telefongespräche werden in Rollenspielen geübt, Formulare gemeinsam ausgefüllt, und für Recherchen steht ein Computer bereit.

Bildung ist mehr als Schul-Unterricht

Bildung ist in der Schweiz Staatsaufgabe. Doch Bildung umfasst weit mehr, als wir alle in der Schule gelernt haben; wir bauen auch auf einem Alltagswissen auf, das sich aus gelernter Erfahrung (der eigenen und der Familie) bildet. Dabei entstehen im Alltag immer wieder neue Situationen, die wir meistern müssen. In gewissen Phasen ist das anspruchsvoller als in anderen: Wenn wir zum Beispiel in ein anderes Land umziehen, eine Fremdsprache erlernen oder eine neue Stelle suchen. Wenn wir in der Schule Lücken hatten, die nie gefüllt wurden, wenn wir krank werden, Kinder bekommen oder plötzlich ohne den Partner oder die Partnerin leben müssen.

In den Quartiertreffpunkten können Menschen ihre Fragen aus dem Alltag einbringen und das Wissen erwerben, das ihnen in der konkreten Situation fehlt. Dies geschehe auf zwei Arten, sagt Claudia Greter, Leiterin der Kontaktstelle für Quartierarbeit beim Kanton Basel-Stadt: «Einerseits bieten die Quartiertreffpunkte konkrete Veranstaltungen an, etwa Sprachkurse. Andererseits sind sie Begegnungsorte und damit auch Lern-Orte. Jemand, der Austausch sucht, nimmt aus der Begegnung vielleicht auch neues Wissen mit, bekommt wie nebenbei Antworten und Anregungen und erwirbt neue Kompetenzen.»

Diese Definition bestätigt Mireille Lingg aus dem MaKly: «Die Themen für unser Lernzentrum entstehen im Austausch mit den Gästen. Wenn wir hören, was die Eltern beschäftigt, können wir Themen bündeln und ein Angebot dazu schaffen.»

Vielfalt an Angeboten

Die Vielfalt an Angeboten im Bereich Bildung und Vermittlung in den Basler Quartiertreffpunkten ist gross. Da gibt es Deutsch- und weitere Sprachkurse, zum Teil parallel dazu Kinderbetreuung. Schüler:innen erhalten Begleitung bei den Hausaufgaben, Senior:innen üben sich in Achtsamkeit. Kinder bauen in Kursen Roboter und produzieren Filme. Eltern bekommen Inputs zu gesunder Ernährung und zur Zahnpflege ihrer Kinder. Ein Quartiertreffpunkt bietet Diskussionsrunden zu philosophischen Texten an, ein anderer eine Lesegruppe, ein dritter lädt zum Referat zum Thema Gleichstellung. An mehreren Orten gibt es Hilfe im Umgang mit dem Computer, an anderen ist das sexualpädagogische Präventionsprojekt «Zyklus Show» zu Gast.

Fragen dürfen ungeniert gestellt werden

Zum Teil erarbeiten die Quartiertreffpunkte die Angebote
selbst oder in Zusammenarbeit mit dem Kanton, zum Teil werden externe Anbieter beigezogen. Immer geht es im Kern darum, dass Menschen ihren Alltag selbstständig meistern können. Und dass Fragen ohne Scham gestellt werden dürfen. «Manchmal ist es zum Lernen wichtig, dass gegenüber keine Mitarbeitenden der kantonalen Verwaltung und keine Lehrerin sitzen, sondern jemand, der die eigenen Erfahrungen teilt», sagt Priska Purtschert, die beim Kanton das Projekt «Femmes-Tische» leitet. Femmes-Tische und Männer-Tische sind Gesprächsrunden zu den Themen Gesundheit, Familie und Integration in verschiedenen Sprachen, die sich an Migrantinnen und Migranten richten und nach dem Peer-to-Peer-Ansatz funktionieren. Die Moderator:innen haben selbst ähnliche Erfahrungen wie die Teilnehmer:innen gemacht und sprechen deren Muttersprache. Bei allen Themen steht der Erfahrungsaustausch im Vordergrund. Die Moderator:innen vermitteln Grundwissen zum gewählten Thema und informieren über passende Fachstellen. Hier wird im Austausch nicht nur gelernt, sondern auch gelacht. Die Femmes-Tische werden von Quartiertreffpunkten regelmässig gebucht.

Wissen hilft im Alltag

Binta, die ihre Fragen fürs Schulgespräch im MaKly notiert hat, ist nach dem Termin erleichtert. Der Austausch mit der Schulpsychologin hat gut geklappt. Und Binta hat viel gelernt: Sie hat nicht nur Antworten auf ihre Fragen zur Tochter bekommen. Sondern sie weiss nun, wie sie ein Gespräch vorbereiten und erfolgreich meistern kann.


* Name geändert