Das dreimal jährlich erscheinende Online Magazin RADAR der Christoph Merian Stiftung informiert über die Hinter- und Beweggründe des CMS-Engagements.

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Editorial

Viele Quartiere – eine Stadt

Als ich – da war ich noch etwas jünger – in Paris studierte, musste ich zuerst die Grossstadt mit allen ihren so verschiedenen Arrondissements und ihrer beeindruckenden Banlieue flächendeckend erkunden. Nach einer gewissen Zeit aber erlahmte der Entdeckergeist, ich wollte nicht mehr als Tourist und Stadtforscher durch Paris schweifen, sondern so leben wie alle Pariserinnen und Pariser. Und so begann ich, mein Quartier zu entdecken und lieb zu gewinnen. Ich fand meinen Lieblingsbäcker, ich wusste, in welcher Bar es das günstigste Bier gab, wo den guten Käse, die frischesten Fische und Fruits de mer. Ich spielte Volleyball im Quartier und ass in der muslimischen Quartiermensa (weil dort das Essen am besten war). Ich fühlte mich als Teil des Quartiers, aber natürlich auch als Teil der ganzen, grossen Stadt und als Teil all dessen, was sie ausmachte.

Das Quartier ist die kleine Welt, in der sich unser Alltag abspielt, es ist unsere Lebenswelt mit identitätsstiftender Funktion: Hier ist man zuhause, hier nimmt man Anteil am Quartierleben, erlebt, erkämpft, erduldet, erleidet, ersehnt man Veränderungen. Hier kennt man die Nachbarn, viele auch nicht (manchmal zum Glück …), man kennt die Schule, die Kinder, die Polizistinnen und die Pöstler und die quartierbekannten Faktoten.

Weil das Quartier eine wichtige Rolle in unserer alltäglichen Lebenswelt spielt, weil es unser Leben und das unserer Familien prägt, engagiert sich die Christoph Merian Stiftung (CMS) für die verschiedenen Quartiere mit kleinen und grossen Beiträgen. Sie ermöglicht mit dem Lola im St. Johann und dem Union im Matthäusquartier zwei Quartiertreffpunkte und unterstützt vor allem das zivilgesellschaftlich-freiwillige, aber auch das professionelle Quartierengagement. Und das ist gut und richtig so.

Der Fokus aufs Quartier birgt allerdings auch ein Risiko. Leicht gewinnen die Partikularinteressen des Mikrokosmos Oberhand über die gesamtstädtische Sicht. Gerade bei Themen wie der Entwicklung von Transformationsarealen, dem Verkehr, der Nutzungsverdichtung oder bei Infrastrukturprojekten darf es keine Deutungshoheit der Quartiere geben, keine Sankt-Florians-Politik, sondern es braucht eine gesamtstädtische Perspektive und Güterabwägung, ja oft den Blick aus einer regionalen, grenzüberschreitenden Warte.

Und dann wäre in diesem gesamtstädtischen Kontext schliesslich noch das Herz Basels, die Innenstadt, zu erwähnen. Bei aller zentrifugalen Quartierbegeisterung müssen wir auch Sorge tragen zu unserem Zentrum – damit es so lebendig bleibt wie die Quartiere.

Dr. Beat von Wartburg
Direktor der Christoph Merian Stiftung