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Wallen Mapondera zu Gast bei Atelier Mondial

Die höchsten und die tiefsten aller Zeiten

Der in Südafrika lebende Künstler Wallen Mapondera ist nach einer Residency in Basel vor drei Jahren wieder zurück am Rheinknie. Als Folge der Retrospektive von Atelier Mondial im Kunsthaus Baselland werden zwei seiner Kunstwerke aktuell im Museum der Kulturen Basel gezeigt. Das Stipendium hat ihm weitere Reisen und Ausstellungen beschert.

«Kuseri KweKuseri» sei sein Aufenthalt in Basel gewesen, sagt Wallen Mapondera und lächelt freundlich. Wie immer, wenn er findet, dass das Englische die Sache nicht auf den Punkt bringt, benutzt der aus Zimbabwe stammende Künstler seine Heimatsprache Shona, in der es ihm möglich ist, feinste Nuancen und Widersprüchlichkeiten in einem einzigen Ausdruck wiederzugeben. «Kuseri KweKuseri» bedeutet: die höchsten aller Zeiten und die tiefsten aller Zeiten. Oder kurz: Top und Flop. So hat Mapondera auch eines der Werke benannt, die während seiner dreimonatigen Residency beim Internationalen Künstler:innen-Austauschprogramm Atelier Mondial in Basel entstanden sind.

Wie für viele seiner Arbeiten verwendete Mapondera auch für «Kuseri KweKuseri» und «Gomba» oder «Anodiwa Bhuku Rezviitiko» weggeworfene Kartonstücke, «Trash», wie er sagt, den er dann sorgfältig zu kleinen rechteckigen Päckchen zusammenfaltet und auf meterlangen Wachsschnüren zu einer Art massivem Perlenvorhang aufzieht. Oder, wie im Falle von «Anodiwa», zu offenen «Tagebüchern» zusammensteckt. Bei den in Basel entstandenen Werken hat er für einmal nicht den Müll und damit die Spuren anderer Menschen oder Organisationen verarbeitet, wie er es in seiner politischen Herangehensweise sonst praktiziert, sondern seinen eigenen Abfall: Die Kartonschachteln all jener Lebensmittel, die er in der Schweiz kaufte, ohne die aufgedruckten Bezeichnungen zu verstehen.

Wallen 01

Die Geschmäcker dieser Nahrungsmittel blieben Mapondera meistens fremd, und je länger er sich von europäischem Fastfood ernährte, desto stärker wurde sein «Shungu Madanha», seine Sehnsucht nach den Menschen, den Gerüchen und Geschmäckern der Heimat. Ganz speziell nach «sadza», der zimbabwischen Nationalspeise. Das Loch, das die Sehnsucht gerissen hat, klafft rot und soghaft in dem aus unzähligen Pommes-Frites-Verpackungen gefädelten Werk «Gomba». Es ist ein Loch, das nie gefüllt werden kann, eine klaffende Wunde, die sich auch als Kommentar zur aktuellen politischen Krise in Zimbabwe versteht, wo das Sehnen nach Normalität unendlich gross zu sein scheint. Zugleich verweist das Werk auf den globalen Konsumismus mit seinen nie endenden Begehrensströmen. Das «Hole» (Loch), das unförmig, fast wie ein Auge, in der geordneten Päckchenlandschaft prangt, verweist zudem auf das «Whole», das Ganze, die Ganzwerdung, die Erfüllung, die uns durch den Konsum der Dinge – stets unerreichbar – versprochen wird.

Ist das Ganze das Wahre? Waren wir in unserem Leben jemals ganz und sollen, wollen wir es wieder werden? Mit der Frage, was denn eigentlich das Ganze ist und welchen Stellenwert es in verschiedenen kulturellen Kontexten hat, beschäftigt sich das Museum der Kulturen Basel (MKB) in seiner neuen Ausstellung «Stückwerk», in der auch zwei von Maponderas Arbeiten gezeigt werden.

«Wir verstehen nicht, was ein Fragment ist», sagt Anna Schmid, MKB-Direktorin und Kuratorin der Ausstellung. Im Begriff Fragment stecke immer schon der Verlust, da schwinge ein Hauch von Melancholie mit. Deshalb habe man die Show «Stückwerk» genannt, denn sie interessiere sich für den Blickwinkel des Einzelstücks, das auf seine ganz spezifische Geschichte, seine Wunden und sein ihm inhärentes Wissen befragt wird – wie auch auf seine Wandlungsmöglichkeiten in der Verbindung mit anderen Einzelstücken. Inwiefern vermag sich die Bedeutung eines eigenständigen Objekts zu transformieren, wenn es mit anderen Objekten zu einer Assemblage verbunden wird?

Wallen portrait

Eine wundervolle Absage an jeglichen Anspruch auf Ganzheit, ein Statement gegen den Wahn zur Perfektion, (Selbst-)Optimierung und Massenproduktion findet sich in der japanischen Kunst des «Kintsugi», die vor über 400 Jahren entwickelt wurde, um zerbrochene Keramikgefässe zu bewahren. Statt die einzelnen Bruchstücke möglichst unsichtbar wieder zusammenzufügen und somit den Bruch sozusagen ungeschehen zu machen, werden im Kintsugi die Scherben mit einem speziellen Goldlack miteinander verbunden. Das reparierte Gefäss weist somit schillernde Adern auf, die stolz und veredelt vom Bruch erzählen und davon, dass das Stück eine ganz persönliche Geschichte hat, die Geschichte seines Zerspringens nämlich, die es von seinen keramischen Brüdern und Schwestern unterscheidet. Lob des Schattens, Lob der Erfahrungen und Lebensgeschichten mit all ihren Rissen und Narben.

Nichts glätten, nichts zukleistern, sondern demonstrativ auf die Narben und Brüche im Geschehen hinweisen – dieser Praxis verpflichtet sich auch der seit einigen Jahren in Südafrika lebende Wallen Mapondera. Aber aufgewertet und vergoldet werden sie in seinen Werken nicht, die Wunden und Schnitte, die etwa in der Arbeit «Open Secret» rot, faserig und unheilbar offenstehen. Das wiederum aus Trash, diesmal aus Popcorn-Papier, collagierte Werk empfängt die Besuchenden der Ausstellung «Stückwerk» gemeinsam mit «Tribal Print» im ersten Raum. «Open Secret» ist anlässlich eines Besuches des südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa in Zimbabwe entstanden, als dieser Verletzungen der Menschenrechte rapportieren sollte, bei seiner Rückkehr aber nichts Besonderes zu vermelden hatte – obwohl die Ungerechtigkeiten für alle Betroffenen ein schreiendes Geheimnis sind, so diskret und unsichtbar wie Popcorn in einer Pfanne.

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Es ist leicht nachvollziehbar, weshalb sich Anna Schmid in Maponderas Werke verliebt hat, als sie ihnen im November 2021 in der Atelier-Mondial-Retrospektive «Slowly Arriving» im Kunsthaus Baselland begegnete. Die Arbeiten des Künstlers strahlen eine fast schon harmonische Balance von Farbe, Form und Material aus und sind doch vollgepackt mit starken Emotionen, bissigen Statements und berührenden Geschichten, die vor allem via Material erzählt werden. Es ist der Abfall, der die Arbeiten mit dem Ort ihrer Entstehung verbindet und dem Werk ein eigentümliches «Terroir» gibt. So können alte Eierverpackungen aus Harare schon mal auf die faulen Eier im politischen Geschehen von Maponderas Heimat hinweisen. «Wenn ich unterwegs bin und arbeite, wie etwa während meiner Zeit in Basel», sagt der Künstler, «dann erzähle ich meine Geschichten von Basel über das Material.»

Seit seiner Residency vor drei Jahren hat Wallen Maponderas Karriere einen regelrechten Schub erfahren, sodass er inzwischen sehr viel unterwegs ist. Gerade hat er in der Galerie Mitterrand in Paris – die unter anderem auch Kunstschaffende wie Niki de Saint Phalle, Dennis Oppenheim und Tony Oursler im Programm hat – mit «CHIKOKOKO (Little Pleasures that Counts)» seine erste Solo-Show in Frankreich. An der im April eröffneten 59. Biennale von Venedig vertritt er als einer von fünf Kunstschaffenden das Land Zimbabwe in den Länderpavillons. Maponderas Werk webt sich, wie seine Kartonteppiche, kontinuierlich Stück für Stück weiter ins internationale Kunstgeschehen.

TEXT: ALEXANDRA STÄHELI, PROJEKTLEITERIN ATELIER MONDIAL
FOTOS: WALLEN MAPONDERA, JULIAN SALINAS (PORTRÄT)

Die Ausstellung «Stückwerk» eröffnet am 28. April 2022 im Museum der Kulturen Basel und dauert bis 22. Januar 2023.

«CHIKOKOKO (Little Pleasures that Counts)», Wallen Mapondera, Solo-Show in der Galerie Mitterrand, Paris, 14. bis 25. Mai 2022.