Cyrill Häring bekommt die Ehrenmedaille des Staates Georgien
Grosse Anerkennung in Georgien
Im Herbst 2021 hat Cyrill Häring aus Basel die Ehrenmedaille des Staates Georgien bekommen. Im Gespräch mit RADAR erzählt er, wie es dazu kam. Die Auszeichnung hat viel mit seiner ehemaligen Tätigkeit als Leiter der Abteilung Städtische Aufgaben bei der CMS zu tun. In dieser Funktion lancierte Häring unter anderem ein Austauschprogramm für Kunstschaffende, das heutige Atelier Mondial.
RADAR: Sie haben die Medal of Honour des Staates Georgien erhalten – überreicht von der Staatspräsidentin Salome Surabischwili, die im Oktober in der Schweiz auf Staatsbesuch weilte. Durften Sie als Schweizer Bürger diese ausländische Auszeichnung überhaupt entgegennehmen?
Cyrill Häring: Es gibt Einschränkungen für Beamte und Funktionsträger, aber bei Privatpersonen wie mir geht das problemlos.
Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Für mich war es eine grosse Überraschung und eine riesige Freude. Und letztlich eine wunderbare Anerkennung meines nun doch schon über dreissigjährigen Engagements in Osteuropa und speziell auch in Georgien. Meine Tätigkeiten ab 1989 fielen in Zeiten, die für alle osteuropäischen Staaten sehr schwierig waren. Und immer noch sind.
Für was genau wurde Ihnen diese Medaille verliehen?
Das betrifft drei Felder: Da ist meine Lehrtätigkeit an der staatlichen Universität – ich unterrichtete jährlich in einem Masterkurs über Organisationsentwicklung, den ich mit zwei Kollegen einrichten konnte. Das zweite waren die Internationalen Austausch Ateliers Region Basel IAAB (heute Atelier Mondial), die ich während meiner Tätigkeit bei der CMS gründen konnte. Und als Drittes ist da das Europäische Jugendchor Festival, eine Einrichtung, die aus dem Ideenwettbewerb Fonds Basel 86 heraus entstanden ist und deren Geschäftsführung ich aus der CMS hinaus übernehmen konnte. Da habe ich unter anderem auch georgische Chöre mit ihrer speziellen Chorkunst einladen können.
Das Jugendchor Festival war das Produkt eines Wettbewerbs, wie war das mit den Austauschateliers?
Das geht auf meine Zeit vor der CMS zurück. Ich leitete im Basler Erziehungsdepartement zehn Jahre lang die Kulturabteilung. In der Konferenz der Kulturamtsleiter der zehn grössten Schweizer Städte war die Idee von Austauschateliers ein Dauerthema. Reihum versuchten die Kolleginnen und Kollegen, sie in den jeweiligen Städten oder Kantonen zu platzieren. Es scheiterte aber stets an den staatlichen Hürden. Und als die CMS mir dann eine Carte blanche für das Hundertjahr-Jubiläum anbot, sah ich die Chance gekommen, die Idee zu verwirklichen.
Was beim Staat nicht ging, wurde im Privaten möglich?
Ja, es wurden die ersten vier Ateliers eingerichtet im St. Alban-Tal. Dann musste ich mich auf die Suche nach Partnerschaften in der Welt machen. Ich fragte in Bundesbern an, ob ich das Projekt an der Botschafterkonferenz vorstellen könne. Die Schweizer Vertreter in Ägypten, Kanada und zwei weiteren Staaten sagten zu. Daraus erwuchs ein weltweites Netz, Künstlerinnen und Künstler aus Basel reisten in die ganze Welt, umgekehrt kamen viele aus der ganzen Welt nach Basel. Das musste sich aber erst entwickeln. Ich erinnere mich an den ersten Chinesen in Basel, der jeden Tag nach dem Tagesprogramm fragte und wir ihm antworten mussten, dass es keines gebe. Der Kerngedanke war und ist, einen Beitrag an die eigene künstlerische Biografie zu leisten.
Und Georgien wurde zu einem der Partnerstandorte?
Die Austauschateliers starteten 1986. 1989 war das Jahr, als die Berliner Mauer fiel und damit der Eiserne Vorhang, ab dann sorgte ich für den Einbezug Osteuropas. Ich konnte Ateliers in Moskau, Kiew und Tiflis einrichten.
Erinnern Sie sich an besondere Begegnungen mit Künstlerinnen und Künstlern in Tiflis?
Ja, natürlich, das betraf nicht nur die künstlerische Arbeit. Ein sehr prägendes Element in Georgien war und ist die Gastfreundschaft. Wenn du ins Atelier kamst, sassest du unvermittelt an einem gedeckten Tisch. In Georgien gilt: Der Gast ist der von Gott gesandte. Da gibt es keinerlei reserviertes Abwarten. Bei den Russen ist das anders.
Wie anders?
In der ehemaligen sowjetischen Gesellschaft waren alle von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Diese Erfahrung machte ich bereits bei meinem ersten Aufenthalt an der Uni in Moskau – das war 1975. Auch ich musste darauf achten, ob mein Gegenüber nicht ein Agent provocateur ist. Da entwickelte man gewisse Methoden, um herauszufinden, will mich der nun einfach dazu verleiten, zum Beispiel Dollars zu wechseln, um mich damit zu überführen? Dazu kommt, dass die Russinnen und Russen grundsätzlich verschlossener, zurückhaltender sind, obwohl man das nicht verallgemeinern kann – in Russland leben über hundert Völker mit unterschiedlichsten kulturellen Identitäten.
Und das ist heute noch so?
Ja. Man muss heute noch Brücken bauen. Heute schauen mir die Menschen ins Gesicht, das war früher nicht so. Ich persönlich habe drei Brücken oder Vorteile: Die erste ist ein Geschenk meiner Eltern, nämlich mein russischer Vorname Cyrill. Ich spreche die Sprache und ich habe Erfahrungen, wie man in der Sowjetunion gelebt hat. Ich wohnte damals in einem Wohnheim mit 7'500 Studentinnen und Studenten. Diese Erfahrung im sozialen Zusammenleben, wie die Gesellschaft funktioniert, das bringt viel. Wenn man die Bücken gebaut hat, machen die Russinnen und Russen auf, weil sie dich als einen der Ihren betrachten, und da kann man eine wunderbare Herzlichkeit und Gastfreundschaft erfahren.
Wie fing das nun aber mit Georgien an?
Das war 1989, wenige Monate vor der Öffnung der Berliner Mauer. In der damaligen Pfingstwoche fand in Basel die Europäische Ökumenische Versammlung «Frieden in Gerechtigkeit» statt. Die CMS hatte das Kulturprogramm für die Delegierten organisiert. Die Wanderung über drei Grenzen ohne Passkontrolle war vor allem für die osteuropäischen Delegierten ein unglaublich starkes Erlebnis. Als Reaktion lud der Patriarch Ilija II. der georgisch-orthodoxen Kirche im September 1990 eine Delegation aus der Schweiz nach Georgien ein. Dort kam ich unter anderem mit dem Dekan der Universität in Kontakt, woraus dann eine dreissigjährige Lehrtätigkeit erwuchs.
Zurück zu den Austauschateliers: Wie sieht es aus mit der zeitgenössischen Kunst in einem Staat wie Georgien, der doch eher noch dem Klischee eines religiösen Agrarstaats entspricht?
In ganz Osteuropa hatte die zeitgenössische moderne Kunst kaum einen Boden, das musste alles von Grund auf neu aufgebaut, neu erfunden werden. Das war auch im universitären Bildungswesen so. Ich erinnere mich an meine ersten Semester an der Uni in Tiflis, das war 1990, kurz nach dem Bürgerkrieg: Rund um uns herum zerschossene Scheiben, und die Studentinnen und Studenten sassen jeweils zu zweien auf einem Stuhl. Die ersten Jahre hatte ich nur mit Studierenden zu tun, die noch nie im Ausland gewesen waren, ab 2000 war es umgekehrt, alle waren im Ausland gewesen. Dasselbe gilt gewissermassen auch für die Kunstszene. Die Künstlerinnen und Künstler haben sich über die Medien natürlich über Tendenzen der zeitgenössischen Kunst informieren können. Sie nutzten ihren Aufenthalt hier in Basel, um sich die neue Formensprache auch persönlich anzueignen. Es war sehr spannend zu sehen, wie die Künstlerinnen und Künstler aus Georgien hier den Freiraum nutzten.
Leistete das Atelier Mondial also gewissermassen künstlerische Entwicklungshilfe?
Ich würde eher vom Motto ausgehen: Beitrag an die künstlerische Biografie. Es hat sich in der Zwischenzeit einiges entwickelt auch in Tiflis: Es siedelten sich Galerien an, es gab neugierige Kuratorinnen und Kuratoren, die zeitgenössische Kunst präsentiert hatten. Die Avantgarde konnte sich entfalten. Aber auch hier ist es ein Entwicklungsprozess, der sich über Generationen hinziehen muss. Es hat sich einiges getan. Wir dürfen von unserem westlichen Gesichtspunkt aus nicht nur darüber urteilen, was noch nicht erreicht ist.
Atelier Mondial ist ein im Dreiland verankertes internationales Stipendienprogramm, das Kunstschaffenden verschiedener Bereiche einen mehrmonatigen Werkaufenthalt in einem von rund elf Partnerländern weltweit ermöglicht und umgekehrt Künstler:innen aus diesen Ländern für einen Aufenthalt in Basel empfängt. Es wurde 1986 auf Initiative von Cyrill Häring unter dem Namen Internationales Atelier- und Austauschprogramm der Region Basel (IAAB) von der CMS gegründet.
Das Europäische Jugendchor Festival ging aus dem Ideenwettbewerb Fonds Basel 86 hervor und wurde von der CMS unter der Geschäftsführung von Cyrill Häring 1989 lanciert. Das Festival hat sich als Konzert- und Begegnungsplattform für hochqualifizierte Kinder- und Jugendchöre etabliert.